Vier Prognosen

Von Stefan, Mi 16 Mai 2007, veröffentlich in Blog

Sicherheit

Was würde wohl in fünf oder zehn Jahren geschehen, wenn ich hier und jetzt schreiben würde: "Ich bin ein Terrorist"? Warum sollte ich so was schreibe? Warum nicht? Immerhin hab ich es gerade getan, vielleicht war das ein Fehler. Als Terrorist zu gelten dürfte mehr oder weniger das Ende vom Recht auf körperliche bzw. geistige Unversehrtheit darstellen. Falsch, nicht einer zu sein, sondern einer sein zu könnten...

...wie etwa die 40 Personen und Projekte, die sich diese Woche über die unerwartete Überraschung einer Hausdurchsuchung erfreuen durften. Grund: Verdacht auf Gründung einer - na was wohl - terroristischen Vereinigung, so schnell kann's geh'n. Naja, eigentlich nicht so schnell, immerhin braucht es für eine Hausdurchsuchung einen begründeten Anfangsverdacht, eigentlich.

Schon praktisch, auf der einen Seite genügt es inzwischen, jemanden Terrorist zu nennen, um die Grundlagen der "Demokratie" aus den Angeln zu heben, Stichwort Online-Durchsuchung oder Umkehr der Unschuldsvermutung, andererseits wird es immer einfacher, aus allem und nichts einen Terrorismus-Vorwurf zu konstruieren und so den benötigten Fingerzeig auf letztlich jeden zu basteln.

Ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle an alle Medien, die sich an der prophylaktischen Vorarbeit beteiligen, hinter allem mindestens fünf ganz fürchterlich schlimme Terroristen zu sehen. Es soll tatsächlich noch Artikel in Zeitungen geben, in denen das Wort Terrorist weniger als drei mal auftaucht, zum Beispiel im Vereinsblatt von den lokalen Anglerfreunden. Das heißt - Moment - wenn erst die Goldfische anfangen, sich in die Luft zu sprengen? Spätestens wenn der erste kritische Gedanke im Kopf eines Anglers geboren wird, werden wir davon lesen, versprochen. Aber bis es so weit ist, hat bestimmt der erste Bundes-Trojaner diese meine Seite indiziert und ich bin im Camp. Ich geb' euch Bescheid, ach ne, ähm, Freiheit stirbt mit Sicherheit.

Freiheit

Womit wir beim nächsten Thema wären: freie Software. Freie Software ist Teufelszeug, das weiß eine mittelständige Computerfirma aus dem Nordwesten der USA, die nebenbei auch Fenster verkauft, schon lange. Und sie hat uns davor gewarnt. Aber wir wollten es ja nicht glauben und haben von der verbotenen Frucht genascht. Und was wir nicht alles zu sehen bekamen: Pinguine, die nicht abstürzen, tolle Programme, die sich auch installieren lassen ohne, dass wir vorher auf armenischen Servern Viren sammeln mussten, echte Innovationen, ...

Aber unsere allseits geliebte Firma gibt uns so schnell nicht auf, sondern errettet uns in einer selbstlosen Geste der Liebe. Und das geht so: Einer alten Pädagogen-Weisheit folgend, die Menschen dort abholen, wo sie stehen. Am Anfang also eine Kooperation mit einer anderen kleinen Firma, die vorgibt freie Software zu verbreiten. Im weiteren Verlauf alles als illegal beschimpfen, was nicht von dieser Firma stammt. Die nächsten Schritte dürften meiner Erwartung nach etwa so aussehen: Der Vista-Nachfolger aus Redmond wird in großen Teilen auf Linux aufbauen (bis auf die Teile, die kompatibel mit anderen Linuxen sind), wobei natürlich alle anderen Linuxe böse sind. Dank entsprechend vorhandener Marktmacht werden 95% aller Erdenbürger dieses "Linux" benutzen und alle anderen Linuxe werden wegen Copyright-Verletzungen verboten. Irgendwann im Verlauf dieser Geschichte werden wir auch noch Zeuge einer Übernahme, welche natürlich in keinem Fall feindlicher Natur ist. Damit wäre auch dieses verdammte OpenSource-Problem endlich gelöst. Auch für diese Leistung von mir ein herzliches Dankeschön.

Selbstverwirklichung

Ein paar Sachen kann ich ganz gut, und wenn ich die paar Sachen ab und zu mache, kommen eine Menge tolle Dinge raus. Dann gibt es noch ein paar Sachen, die ich nicht so gerne mache, wie etwa Wäsche aufhängen, aber das muss ja gemacht werden. Und wenn ich das alles mache, dann hab ich mich ganz gut "verwirklicht".

Hä? Vorher war ich nicht wirklich? Na gut, muss ich wohl erst mal was machen, um wirklich zu sein. Zum Glück kommt ja jemand vorbei, wenn ich gerade nichts mache und Gefahr laufe, unwirklich zu werden. Das ist der nette Mann vom Arbeitsamt. Der zeigt mir dann, wie ich wieder wirklich wer werden kann. Dazu muss ich natürlich arbeiten. Und Arbeiten geht von 8:00 Uhr bis 16:00 Uhr, das muss ich erst mal lernen. Und weil ich noch lerne, also noch nicht wirklich arbeite und deshalb noch nicht wirklich wirklich bin, bekomme ich auch weniger Geld, das ist klar. Etwa einen Euro die Stunde, das ist doch schon mal mehr als gar nix, oder was.

Nur irgendwie komm ich jetzt gar nicht mehr dazu, ein paar Sachen zu machen, die ich ganz gut kann. Naja, sind ja auch nur noch 40 Jahre, bis ich Rentner bin und wieder etwas Zeit für mich habe, und dann, jaaa...

Träume

Dahin gehen, wo ich gerade sein will - keine Grenzen, kein Visum. Im Bauwagen wohnen, auf einer Streuobstwiese - keiner kommt und sagt, so geht das nicht. Schaffend tätig und gleichzeitig frei sein - nicht stumm und sinnfrei arbeiten müssen. Musik hören, über die Welt gleiten - ohne GEMA und GEZ. Basteln, probieren, improvisieren - nicht lernen zu funktionieren und alles nach Plan. Menschen treffen, kommunizieren, über alle Sprachen hinweg - nicht Macht und Vorurteile. Alles dürfen - nichts müssen.

Es wird der Tag kommen, an dem ich gehe. Hoffentlich