Eine Alternative im 21. Jahrhundert

Von Stefan, So 01 Januar 2006, veröffentlich in Blog

Seit nunmehr einigen Jahren schon schmückt sich der Kalender mit einer führenden 2. In seiner ganzen Dimension gar nicht wahrgenommen hat die Menschheit den Sprung ins 21. Jahrhundert gemeistert oder sich zumindest daran versucht. Der technologische Fortschritt hat rasant an Fahrt und Geschwindigkeit gewonnen, trotz Dotcom­Blase und Börsen­Crash. Die Menschheit verfügt inzwischen und gerade in den letzten 5 Jahren über Möglichkeiten, die, richtig genutzt, viele anstehende Probleme umfassend lösen könnten und in einer auf diese angepassten Gesellschaft enorme Handlungsräume eröffnen.

Doch dem ist nicht so. Verhindern in der sogenannten "Bürgerlichkeit" die Wirkprinzipen einer kapitalistischen Gesellschaft mit ihrem Fokus einzig und allein auf der Maximierung von Kapital die Nutzung der Technologien im Interesse aller, so haben auch große Teile der "Alternativen" mit all ihren Facetten die aktuelle Entwicklung verschlafen.

Vor 30 Jahren ...

... konnten ein paar langhaarige Hippies die Finger einfach nicht von harten Drogen lassen. Mit einem heftigen Hieb ging's weit raus aus gewohnten Realitäten. So klischeehaft, oder wahrscheinlich doch ganz anders ­ auf jeden Fall wurde umfassend mit Grundsätzen gebrochen und Neues gewagt. Und selbst, wenn eine Menge damaliger Schlussfolgerungen und Aktionen heute als falsch angesehen werden müssen, so hat dieser Schritt bis heute wichtige Auswirkungen (Mann geht nicht mehr zu Papa von Frau und hält um Tochters Hand an) und ist seit dem nicht noch einmal in dieser Konsequenz gegangen wurden. Doch wie konnte diese kulturelle Revolution damals funktionieren und warum will es heutzutage einfach nichts werden? Vielleicht fehlen die richtigen psychoaktiven Substanzen.

Auf jeden Fall aber kann man feststellen, dass niemand zu seinem Glück gezwungen wurde, sondern aus irgend einem Grund ein neuer "Lifestyle" Einzug hielt, der Viele erfasste und dann einfach gelebt wurde. Es waren nicht Demos, die "überredeten". Ein neues Lebensgefühl war erdacht, neue Musik, neue Formen des miteinander Lebens, neue Ideale und Moralvorstellungen. Dieses "Neu erdenken" ist seit dieser Zeit nicht mehr zu erkennen. Vieles wurde aufgenommen, bearbeitet, um­ oder anders­gedacht, diskutiert, verworfen. Aber im Grunde kauen wir heute noch auf Dingen und Gedanken herum, die in den 70er Jahren von großer Bedeutung gewesen sein mögen, heute jedoch den neuen Gegebenheiten bei weitem nicht mehr genügen.

Heute

Alle 5 Jahre verdoppelt sich das Wissen der Menschheit, macht seit 1968 128mal mehr (wissenschalftliche) Erkenntnis ­ ganz platt gerechnet. Entsprechend wachsen Realisierbarkeit von Ideen sowie Technologisierung und Automatisierung mit ihren Auswirkungen auf die moderne Gesellschaft. Der Computer hat umfassend in unseren Alltag Einzug gehalten und begegnet uns längst nicht mehr nur als PC auf dem Schreibtisch. Die folgende Digitalisierung hat Einflüsse auf nahezu alle Lebensbereiche vom Aussterben des Dia­Films über die Online­Buchung von Flugtickets bis hin zu neuen Formen im Bereich Musik, Film und anderer Kunst. In wenigen Jahren wird unser Kühlschrank automatisch Milch nachbestellen können und das Telefon ist vollständig auf das Internet umgestellt. Überhaupt ist die gesamte Kommunikation auf ein Level gewachsen, welches uns ungeahnte Möglichkeiten eröffnet. So ist es inzwischen problemlos möglich, ein Live­ Gespräch samt Bild zwischen Berlin, New York und Tokio zu führen, wenn man die Zeitumstellung und die damit verbundene Müdichkeiten überwindet.

Anstatt sich in dieser Situation immer weiter zurück zu nehmen und die lästige Arbeit den Maschienen zu überlassen, schlagen nun dummerweise die Wirkprinzipien kapitalistischer Strukturen voll durch. Geld und damit die Realisierbarkeit eines würdigen Lebens sind für viele an die Verkaufbarkeit der Ware Arbeit geknüpft. Arbeit wird aber, um Gewinne zu maximieren oder in Zeiten steigender Konkurenz (durch Technologisierung) überhaupt noch zu erwirtschaften, immer weiter auf Maschienen verlagert und so immer knapper. An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass das Problem nicht in der Technologisierung zu suchen ist, die ja dazu beiträgt, körperliche Mühen zu ersparen und weniger zu "schuften", sondern in der Organisationsform des Kapitalismus und den daran gebundenen Widerspruch: der Verknüpfung von Arbeit und Wohlstand.

Die Antwort der "Alternativen"

Wie zu erwarten ist ein großer Teil der "Alternativen" mit ihren veralteten, nicht mehr zeitgemäßen und anwendbaren Ideologien nicht in der Lage, auf diese Probleme eine alternative und emanzipatorische Antwort zu liefern. Einige verteufeln schlicht die Technik als Schuldigen an der Miesere, wünschen sich in Kommunen und auf Demeter­Bauernhöfen ein Leben in "ursprünglichen Formen" und versuchen sich, in Verleugnung allen Fortschritts, wie die Menschen vor 20000 Jahren selbst zu versorgen. Und dabei wurde der Traktor erfunden, um nicht mehr den ganzen Tag mit dem Spaten im Dreck zu wühlen. Andere, zumeist GewerkschafterInnen (so man jene noch als alternativ bezeichnen kann), schreien zusammen mit einem immer größer werdenden Teil der Gesellschaft nach Arbeit und grenzen mit Macht all diejenigen aus, die eine Konkurenz darstellen könnten oder eh schon verloren haben ­ Flüchtlinge, Langzeitarbeitslose oder einfach die "faulen" SozialehängemattenbenutzerInnen.

Und diejenigen die erkennen, dass es einen guten Grund geben kann nicht zu arbeiten, versuchen mit Biegen und Brechen die alten Ideologien auf die neuen Gegebenheiten anzupassen. Mit abenteuerlichen Konstrukten wird aus 200 Jahren Marx (Kapital, politischen Klassen, ...), den Ereignissen im Nationalsozialismus (Faschismus, Rassismus, ...) und der 68­Bewegung (Sexismus, Hierarchien, ...) ein Weltbild gestrickt das die heutigen Bedingungen erklären soll, ohne aktuelle Komponenten (Technologisierung, Digitalisierung, ...) einzubeziehen, die erst völlig neu erdacht werden müssen.

Zu allem Überfluss sind die wenigsten in der Lage, angemessen auf die negativen Aspekte zu reagieren, die eine technologisierte Gesellschaft mit sich bringt (Überwachungsmöglichkeiten, Zugriff auf persönliche Daten, gläserner Mensch). Die Ablehnung der Technik als solcher führt so auch zu einer Ablehnung der Auseinandersetzung mit selbiger und ihrer Gefahren und dem Fehlen der Entwicklung von Gegenmaßnahmen. So gibt es heute keine emanzipierte Gegenwehr gegen Vorratsdatenspeicherung, LKW­Maut, Digital Rights Management und biometrischen Reisepass.

Neue Konzepte

Schlussfolgernd aus den Ereignissen Anfang der 70 Jahre liegt die Lösung nicht in Demos, Aktionen oder theoritischen Überlegungen zur Weltrevolution. Wie oben dargestellt ergeben sich die nötigen Veränderungen nicht durch Druck einer aktiven Minderheit gegen eine passive und desinteressierte Masse sondern im Leben eines Neuen, eines Anderem, eines modernen, emanzipierten "Lifestyles", der auch mit falschen Ideologien bricht, ohne allerdings zu vergessen, welchen Weg und auch welchen Irrweg die Menschheit hinter sich hat (nicht im Sinne der "Du bist Deutschland" Kampagne).

Gerade jetzt stehen die Chancen gut, diesen "Lifestyle" zu finden und umzusetzen. Die modernen Technologien wirken auch kulturell und kommunikativ. Die Revolutionen im Bereich von Musik, Film und Kunst stehen denen von 68 in nichts nach, ja gehen sogar weit darüber hinaus. Die OpenSource­Bewegung stellt einen nahezu freien Zugang zu den benötigten Resourcen und Werkzeugen zur Verfügung. Die Vernetzung bringt Menschen einfach und unkompliziert zueinander, um Ideen und Konzepte zu ersinnen und umzusetzen. Noch nie war es möglich, mit so wenig Einsatz von Quantitäten so viel Qualität zu erzeugen. Dabei liegt das Ziel nicht im Erfinden eines starren, monolithischen Konzeptes. Vielmehr sollten viele kleine Aspekte und Facetten zu einem neuem, emanzipatorischem Lebensgefühl beitragen, das der Zeit angemessen ist, mit aller nötigen Kritik aber auch allen Möglichkeiten, ohne dabei für MTV verwertbar zu werden.